Konfliktbeispiel Fernsehen

Ein Kind will fernsehen, sein Vater will das nicht. Angenommen, sie einigen sich nicht, sie finden keinen Kompromiss und sonst keine Lösung, und der Erwachsene stellt den Fernseher aus. Dann ist für das Kind zu spüren, was die Verhinderung auf der Handlungsebene psychisch begleitet, und neben vielfältigen eigenen und fremden Gefühlen nimmt es auch diese Information wahr, die von diesem – amicativen – Erwachsenen kommt: »Ich bin nicht für Dich verantwortlich, das bist Du selbst, sondern für mich. Mein Wissen sagt mir, dass dieser Film nicht gut für Dich ist. Dieses mein Wissen ist nicht wertvoller als Deins – aber mein Wissen ist für mich die Richtschnur meines Handelns. Das Einschalten des Fernsehers stellt für mich und mein Wissen eine Grenzüberschreitung dar, gegen die ich mich zur Wehr setze. Hier ist meine Grenze – hier stehe ich, ich kann nicht anders. Nichts ist dabei, was Du einsehen müsstest. Es ist zu meinem Besten.«

Das Kind des amicativen Vaters kann nicht tun, was es will. Aber es wird nicht demoralisiert durch den Anspruch, dass seine Niederlage auch noch zu seinem Besten erfolgt sei. Seine Bewertung wird nicht herabgesetzt, sein Selbstverantwortungsgefühl nicht in Frage gestellt. Dies ist eine gänzlich andere Erfahrung als sie einem Kind pädagogischer Eltern widerfährt. Ein Kind pädagogischer Eltern muss neben der Niederlage, nicht tun zu können, was es will, obendrein noch einstecken, dass dies zu seinem objektiv Besten geschehen sei, dass es zu einer richtigen Beurteilung nicht in der Lage sei: »Es ist zu Deinem Besten. Der Film ist für Dich nicht geeignet. Ich weiß es besser als Du. Das kannst Du noch nicht richtig beurteilen.« Das Kind pädagogischer Eltern wird in seiner Erkenntnis- und Bewertungsfähigkeit missachtet. Das bleibt dem amicativ aufwachsenden Kind erspart.

Konflikte und unterschiedliche Interessen gibt es auch in den amicativen Beziehungen. Sie werden nur nicht mehr als dramatische und existentielle Angriffe auf das Selbst erlebt. Es gilt, dass alle Interessen gleichrangig sind: Jeder kann sich seinen eigenen Vorstellungen entsprechend realisieren wollen – und gegen jeden kann man seine eigenen Interessen mit gleicher Berechtigung ins Spiel bringen. Es wird nicht auf Autorität verzichtet! Autorität steht allerdings jedem Konfliktpartner – Erwachsenen wie Kindern – gleichwertig zu. Konflikte werden als Alltagserscheinungen angesehen, sie kommen und gehen. Und wie immer es auch ausgeht: Das psychische Gift »Ich habe mehr Recht als Du, sieh das ein« entfällt.