Nächstenliebe

Niemand trägt zu Recht Verantwortung für einen anderen. Jeder ist für sich selbst verantwortlich.

Diese amicative Grundposition gibt allen die unkritisierte und gewollte Möglichkeit, solche Beziehungen herzustellen, wie ein jeder es tatsächlich will, und nicht solche, die irgendwie sein sollten. Jeder kann der Sympathie oder Antipathie, der Energie oder Apathie folgen, die er gerade in sich spürt. Niemand muss mehr aufbringen. Einem anderen beistehen etwa wird nur der, der hierzu wirklich Raum in sich hat. Und wer das nicht will, der macht nichts falsch. Jeder kann seinem Impuls, seiner Realität folgen. Kein anderer kann zu Recht sagen, man hätte aber so und nicht anders reagieren oder agieren dürfen. Wer etwas einbringt, bringt sein subjektives Empfinden und sein an sich selbst bemessenes Tun ein.

Solch scheinbar egoistisches Verhalten setzt Mitgefühl und Empathie frei. Denn unbehelligt von fremden Verpflichtungen und Moralisierungen (man soll, man muss, man darf, usw.) kann man in sich seine soziale Dimension fühlen, ihr nachspüren und ihr folgen. Unverzerrt vom Verbeugen vor den Anforderungen fremder Normen kann man erleben, dass die Wärme für den anderen stets Gewinn für einen selbst enthält. In der Amication gilt, dass der Kern jedes Altruismus die Selbstliebe ist. Die Selbstliebe wird nicht mehr durch Verantwortungslasten behindert – entsprechend ungehindert kann die Präsens der Nächstenliebe wahrgenommen werden. Zusammenhang und Einheitlichkeit beider psychischer Phänomene werden erlebt. Die Erfahrung der von innen kommenden sozialen Kraft wird durch das Überwinden des Gefühls gewonnen, für andere verantwortlich zu sein. Nächstenliebe ist so selbstverständlich wie Selbstliebe, und der andere wird als Teil des eigenen Ichs erlebt.