Wartezimmer. Warten worauf? Auf alles und jedes. Klassisch: den Zahnarzt. Höher: das Glück, das wahre Leben, wieder gesund werden, den Traumpartner finden, im Lotto gewinnen. Etwas tiefer: die Ferien, das Wochenende, den Tatort, die bestellte Pizza, das Haaretrocknen, die Parklücke. Wir sind da viel unterwegs, in dieser Wartezimmerei.
Wie oft und wie lange bin ich in Wartezimmern unterwegs? Es ist Winternachmittag, ich jogge. Ich bin draußen und sehe die Natur um mich herum. Bäume und Sträucher in ihrer Sinfonie der Winteräste. Warten sie auf den Frühling, die Äste auf ihre Blätter? Bäume warten nicht, sie sind. Und jetzt sind sie im Winterzimmer, ohne Warterei. Ich übertrage das auf meine Wartezimmer, meine großen und kleinen. Das Zimmer - der Raum, in dem ich mich konkret befinde - ist, jetzt, real, ohne Warten. Ich frage nach, wer ich bin. Ich bin hier, jogge und sehe die Bäume. Winter- und Joggingzimmer. Und warte gleichzeitig auf meine großen und kleinen Wunder.
Aber ich übersehe gerade nicht, dass bei aller Warterei (Arzt, Glück, Partner, Lotto, Parklücke, Pizza) der Warteraum, in dem ich gerade unterwegs bin, die Realität ist. Und voller Realität ist. Ich kann die anderen Dinge, Gegebenheiten, Wesen wie die Bäume um mich herum auch als etwas bemerken, das mit mir in Beziehung treten kann, will, mit dem ich in Beziehung sein kann. Ich kann aus dem Über-Mir, dem gerade stattfindenden über der realen Welt schwebenden Wolken-Wartesein herauskommen, herabsteigen in die weite Ebene des Jetzt. Und dann sehe ich die Dinge um mich herum in ihrer Jetztheit und wende mich ihnen zu.
Das Wartezimmer verlassen ohne die Wünsche aufzugeben. Aber in einer guten Balance halten. Dem Hier und Jetzt Gewicht geben, die Winterbäume sehen und merken, wie ihre Astbilder in mir Resonanz auslösen, Kommunikation bewirken. Betrachten. Erinnern, Hören, Öffnen für die ganze reale wartefreie Welt.
In wie viele Wartezimmer sind wir gesetzt? Von Kindheit an, tausend Dringlichkeiten. Wunsch, Hoffnung, Sehnsucht. Ja, gibt es. Und läuft leicht aus dem Ruder, wird zu mächtig. Dieser ganze Wartezimmergroßraum kann eine vernebelnde Macht haben: das, was gerade ist, nicht mit dem Gewicht zu bedenken, das aber doch bedacht werden kann, könnte. Wegen dieser Zielbannung verfehle ich dann den Boden, auf dem ich mich bewege, und all das, was auf diesem Boden um mich herum da ist.
Heute Nachmittag bin ich so von der Natur angefragt, dass ich nicht auf das Ende meines Joggens, die anschließende Gymnastik und das Erfüllen aller anderen Lebens-Warte-Punkte warte, sondern dass ich mich bei meiner Laufbewegung in das Jetzt begebe und den Ball aufnehme. Und durchatme: Ich bin, jetzt. Wartesouverän. Und kann bemerken, was noch alles ist, jetzt. Eine übergroße Vielfalt und Fülle. Die Bäume und Sträucher und alles, was folgt. Die Schwäne, die Gänse, die Wolken, die Schneeflocken.
Neugierig und vorsichtig drehe ich mich um, das Wartezimmer, nicht das Warten ist jetzt meine Realität. Der Raum gerät in meinen Blick, wird erkennbar: wo bin ich jetzt und wer bin ich jetzt? Ich nehme das alles an und entlasse mich mit Freude zu den Bäumen und Sträuchern mit ihren Winterästen. Und die Wünsche? Sie sehen zu und stören nicht. Sie sind entspannt. Alles zu seiner Zeit.