Amication
ist eine (freundliche) Aufforderung zur Achtsamkeit. Amication ist eine
(ungewollte) Quelle der Lieblosigkeit. Amticativ eingestellte Menschen gehen
achtsam miteinander um. Amicativ eingestellte Menschen pflegen einen lieblosen
Umgang. Was nun?
Amication
ist ein vielschichtiges Gebilde: Weltdeutung, Philosophie, Alltagskonzept,
postmoderne Ethik, Orientierungssteinbruch, Sammelsurium der Gutmenschen,
Schönrednerei, heiliger Gral, Berührung des Unendlichen ... Es gibt
wohlmeinende Bezeichnungen für, die Amication und übel riechende. Amication ist
wie jedes menschliche Konstrukt etwas, das von jedem einzelnen, der damit zu
tun hat, interpretiert wird. Wenn ich Himbeeren in meinen Garten pflanze: „Was
hältst Du von Himbeerbeet statt Rasen?“ „Gute Idee. Ich freue mich auf die
Himbeeren“ oder „Was soll der Quatsch? Du versaust den Rasen und schmecken tun
die sowieso nicht“. Mein Beet aber ist mein Beet, es findet statt (wenn ich es
anlege), und Du reagierst.
Amication
habe ich gefunden, gemacht, ausgedacht, produziert, aus vielen Quellen und mit
vielerlei Hilfe und Helfern, aber letztlich ist es mein Konstrukt. Es findet
statt. Und Du reagierst.
Wenn
jemand in der Amication eine Aufforderung zur Achtsamkeit oder eine Quelle der
Lieblosigkeit sieht — was soll ich dazu sagen? Es ist Deine
Interpretation/Reaktion/Nachdenken über mein Konstrukt, Beet oder
Philosophie.
Wer
mich fragt, was denn nun sei mit der Amication, Achtsamkeit oder Lieblosigkeit,
da denke ich: Was will der eigentlich von mir? Was hält der eigentlich von mir?
Was meint der eigentlich, wer ich bin? Für wie hirnverbrannt hält der mich,
dass ich der Lieblosigkeit Tür und Tor öffne, öffnen will. Oder meint er, meine
guten Absichten in Ehren, aber da ist mir doch einiges außer Kontrolle geraten.
Schlägt er, der mich da fragt oder der mir diese Frage in seinem stillen
Kämmerlein stellt, schlägt er mich auf die gute oder auf die schlechte Seite?
Wie
viel Konstruktivität oder Einssein mit positiver Energie und wie viel
Destruktivität oder Einssein mit negativer Energie ist in dem, der so über
Amication nachdenkt? Was habe ich damit zu schaffen, wie jemand ist? Was geht
mich seine Frage an? Will ich diese Frage aufnehmen, will ich in die Welt des
Fragenden einschwingen, will ich mich auf diese Frage und diesen Frager
einlassen? Was will ich mir gut tun oder antun? Mal sehen, kommt drauf an, je
nachdem, wie ich drauf bin und wie das Wetter ist. Also: Was willst Du eigentlich
mit Deiner Frage nach der Achtsamkeit und der Lieblosigkeit?
Ich
besuche Freunde, Karin und Claus. Karin steht für Achtsamkeit. Ihre ganze Art.
Sie fragt mich (überraschend) oft, was ich denn so brauche. Sie weiß gleich
einen guten Waldweg für mein Joggen. Sie ist achtsam, und wenn sie es mir
gegenüber ist, dann tut das gut, keine Frage. Aber doch eine Frage: Wozu tut
sie das? Ich kann es annehmen, aber es ist irgendwie so überflüssig. Wie
Wellness, schön aber eigentlich überflüssig. Ist Achtsamkeit eine modische
Psychowellnessgeschichte? Wenn es in ihr ist, in ihr wächst und lebt, wenn es
keine auferlegte Tugend ist, keine Seelenveranstaltung, kein „Schaut, was ich
kann“, kein „So sollte es sein“ — wenn es all das nicht ist, sondern: „Ich. So
bin ich. 25 Kilogramm Achtsamkeit sind in mir. Ich kann nicht anders. Tut es
Dir gut? Ist es Dir zuviel? Sorry, aber weniger Achtsamkeit ist nun mal nicht
in mir. Tut mir leid, wenn es Dir zuviel wird, aber kommt nun mal aus mir.“ Ja
— wenn es diese persönliche Wahrhaftigkeit ist, die diese vom Seelengrund
kommende Achtsamkeit, 25 Kilogramm, hervorbringt.
Wie
die Lieblosigkeit. Die fehlende Achtsamkeit. Wenn die Energie nicht beim
anderen ist, sondern beim Selbst bleibt, gebunden ist. Wenn kein Ausschauhalten
nach meinem Waldweg passiert, sondern nur ein „Viel Spaß“. Wenn der Lieblose
mit mir so umgeht, wie es ihm achtlos einfällt, spontan, seinen Ecken und
Kanten folgend, ohne besonders zu mir zu schauen, ohne Innehalten, was das mit
mir macht, wenn er so ist, wie er ist. Wenn er eben unachtsam ist. Ist er dann
lieblos, wenn er unachtsam ist? Ich bin vom Joggen zurück und Claus sagt zu
Karin: „Der Rabe, den wir gesund gepflegt haben, kommt weg, und wenn er Dir
tausendmal wichtig ist. Er braucht seine Freiheit jetzt, sofort, nicht erst
dann, wenn Du meinst“. Claus Freiheit des Raben Jetzt donnert die Sorge von
Karins Freiheit des Raben Später nieder. Achtlos setzt sich Claus durch, Karin
bleibt lieblos in die Ecke gedrängt zurück. „Das ist lieblos. Du bist lieblos“.
Anmahnen, Belastung, Schmerz, Leid, kurz vor dem Vorwurf, Vorwurf.
Macht
Amication den Weg frei für Lieblosigkeit? „Nach Amication kann ich tun und
lassen was ich will. Und Punkt.“ Ja natürlich, sage ich, so ist es. Also kann
man lieblos sein? Wer definiert das? Ist lieblos wirklich lieblos? Aus wessen
Sicht? Nun ja, man kann alles und jedes, sage ich. Nichts ist verwerflich,
alles ist voll Sinn. Wo ist der Sinn bei der Lieblosigkeit, wenn man sich
einmal darauf verständigt, dass es so etwas überhaupt gibt? Ist das so schwer
zu finden? „Wer bist Du?“ Diese Frage führt zum Sinn: zum Sinn eines anderen,
auch zum Sinn dieses lieblosen Menschen vor mir.
Wenn
er Lieblosigkeit in sich trägt (aus der Sicht des anderen natürlich, aber
lassen wir es jetzt mal gelten, um ein bisschen Klarheit in diese Thematik zu
bringen; und dass es aus der Sicht des „Lieblosen“ keine Lieblosigkeit bei ihm
gibt, ist auch klar; aber lassen wir es jetzt mal gelten). Wenn er also
Lieblosigkeit in sich trägt, dann ist er so jemand. Wenn er Achtsamkeit in sich
trägt, dann ist er so jemand. Wo ist da der Unterschied? Der wirkliche? Es sind
Menschen, Personen, Ebenbilder Gottes, die ihren Weg gehen. Natürlich sind die
Wege unterschiedlich, aber das ist doch wohl nebensächlich. Hauptsächlich ist:
Ecce Homo — ein Mensch ist vor mir. Ein Wunder, ein Zauber, ein Geheimnis. Du
bist — und ich bin. Berühren mit den Fingerspitzen, das Gesicht, Dein Antlitz,
Du bist.
Wenn
Du so bist, wie Du bist. Wenn zu Dir Ich-Enge gehört, so nahes Bei-Dir-Sein,
dass ich nicht in Deinen Blick gerate, (was man missgünstig „lieblos“ nennt).
Wenn das so ist — dann reagiere ich. „Es stört mich nicht, dass ich draußen vor
bin und dass Du den Raben freilässt“. Oder es stört mich und es tut mir weh.
Wer bin ich? Was fährt in mich, Dir Dein nahes Bei-Dir-Sein so übel zu nehmen?
Mich dadurch so belastet zu fühlen? Deine Wunderbarkeit mit Herabsetzung zu
entwundern, deine Großartigkeit, Gotteshaftigkeit mit dem Kleinmacher „Lieblos“
zu verstecken? Was muss ich da verstecken, was drängt mich, Dich nicht mehr zu
sehen, statt dessen Zusammenzudenken „Claus der Lieblose“?
Lieblosigkeit
als Gefühl des Behandelten. Karin passt etwas nicht. Nämlich so behandelt zu
werden, so lieblos, wie sie sagt. Wie SIE sagt. Claus geht seinen Weg und lässt
den Raben frei. Was ist daran lieblos? „Du nimmst keine Rücksicht auf meine
Gefühle!“ Um alles in der Welt — was sollen die Menschen denn noch alles
stemmen? Ist es nicht anstrengend genug, heutzutage zu leben, zu überleben, ja
zu sagen zum Leben, die Kinder in den Arm zu nehmen und den Alltag zu schaffen?
Was denn noch alles? „Kümmere Dich um mich! Sonst bist Du lieblos, nicht
achtsam“.
Forderung.
Herrschaft. Recht haben (Achtsamkeit) siegt über Unrecht tun (Lieblosigkeit).
Die klebrige Macht der Sanften, der Friedfertigen. Wer ist hier eigentlich
lieblos? Der, der seine ihm wichtigen Dinge tut oder der, der seinen
verstellten Weg bemerkt und den anderen zum Beseitigen des Weghindernisses in
die Pflicht nehmen will? Mit der Keule „lieblos“. „Was fährt in Dich, mich
lieblos zu nennen! Wer bist Du eigentlich? Was willst Du von mir? Soll ich
deine Stiefel lecken?“
Macht
in Beziehungen. In der Partnerschaft. Wer hat Recht? Wer hat die besseren
Karten? Wer hat die Arschkarte? Wer darf bestimmen, was als nächstes zu
passieren hat? Wer hat die Moral auf seiner Seite? Wer darf bestimmen, wann der
Rabe freigelassen wird? Wer ist oben? Wer ist unten?
Achtsamkeit
und Lieblosigkeit sind Handmittel, Kampfmittel, Mundverbieter im Geflecht der
Beziehungen. „Weil Du lieblos bist, bin ich besser als Du“. Retourkutsche:
„Weil Du mich lieblos nennst, gehst Du an mir vorbei. DU bist nicht achtsam
sondern lieblos und deswegen bist Du schlechter als ich und bin ich besser als
Du“. Schlechtreden. Claus ist schlechtgeredet. Karin ist schlechtgeredet. „Was
hast Du denn da angestellt?“ Wir haben diesen Vorwurf und das dazugehörende
Unten-Gefühl in der Kindheit gelernt, jeden Tag aufs Neue, bis es sitzt. Ein
Leben lang. Und wir haben gelernt, uns mit Gegen-Schlechtreden zu verteidigen.
Amication
ist ein Tor, hinter dem sich ein neues Lebensspiel spielen lässt. Wenn man das
will, wenn man dafür offen ist. Wenn man keine Lust mehr hat auf das
Rechthaben-Wollen und auf das Unten sein—Fühlen. Wenn man sich wie damals von
Kind zu Kind auf gleicher Augenhöhe trifft, von dieser achtsamen und zugleich
lieblosen, von dieser lieblosen und zugleich achtsamen Position aus miteinander
Zeit verbringt, gibt und nimmt, mit durch die Zeit geht, bis zum Einschlafen,
und morgen gibt’s ein neues Erleben. Ich weiß doch, wie Du bist. Karin ist
achtsam zu anderen, und sie erfährt Claus als lieblos. Claus ist achtsam zu
sich selbst, und er erfährt Karin als lieblos. So sind sie nun einmal. Na und?
Auf geht’s! Wo ist der günstige Weg zum Joggen? Liebst du den Raben mehr als
deinen Partner? Warum nicht, vielleicht ist Dein Partner ja ein Rabenaas. Denkt
jeder vom anderen. Ist aber auch egal — was machen wir heute Nachmittag? Das
Leben fließt, es geht weiter, dies „achtsam“ und dies „lieblos“ — das ist doch einfach
unwichtig.
Das
Leid in den Beziehungen kommt nicht aus verpasster Achtsamkeit und nicht aus
sprudelnder Lieblosigkeit. Es kommt aus dem Misstrauen gegen sich selbst. „Was
hast Du denn schon wieder angestellt?“ Keule, Glas zerspringt, Kreissäge kreischt,
die Goldammer fällt zu Boden. „Ich bin schrecklich. Ich bin schlecht. Ich habe
etwas angestellt“. Misstrauen, Lähmung, Herzstillstand. Amication ist die
Antwortstimme, wenn der Notrufknopf gedrückt wird: „Du bist wunderschön. Du
hast ein menschliches Antlitz. Du bist ein Ebenbild Gottes“. Das „Schon wieder
angestellt“ verblasst, sinkt ins Unerhebliche. „Ich bin. Ich bin. Ich bin.“
Ermutigt
Amication zu Achtsamkeit? Ist sie Quelle der Lieblosigkeit? Das ist viel zu
hoch gegriffen. Amication ist ein Hauch, ein warmer Wind, eine geflüstertes
Geheimnis: Komm mit, spiel mit, lass Dich gelten, Du kannst sorglos sein,
beiläufig, sicher. Amication lässt die Menschen in Ruhe sie selbst sein. So
achtsam und so lieblos, wie immer sie sein wollen. Wenn sie denn achtsam sind,
wenn sie denn lieblos sind. Amication richtet nicht, Amication lädt ein,
verführt, verleitet, schaltet das rechtsuchende und Rechthabende Nach-Denken
aus — und der Strom des Lebens kann durch die entstopften Adern wieder fließen,
hin zum Herzen und zu allem und jedem in mir: Man kann — man muss nicht, aber
man kann, und es ist nicht verboten — man kann sich lieben wie man ist. Wie
immer man ist. Achtsam zu anderen oder achtsam zu sich selbst (vom anderen
genannt lieblos).
Ich
habe von den Freunden gelernt. Von Karin, wie schön es ist, Achtsamkeit zu
erleben. „Ich kenne einen guten Weg für Dein Joggen“. Wie wohlige Wärme im
kalten Dezembernebel. Es tut einfach gut, es erstaunt, es verleitet zum
nochmaligen Hinsehen, und zum Annehmen. Danke! Und so eine wohltuende
Psychowellnessgeschichte verführt zum Mitmachen. Das tu ich auch! Meinen
Kindern an. Meinem Partner an. Nicht als Programm, sondern so, wie es kommt.
Ich bin gerne angesteckt. Achtsamkeit ist ein Juwel, keine Last, ein Geschenk.
Etwas zu Weihnachten. Etwas, was ich Dir schenke.
Von
Claus habe ich wieder gesehen, dass es verdammt gut tut, achtsam mit sich
selbst umzugehen. Klar Zu sich zu stehen, immer wieder. Hart, kompromisslos,
wenn es sein muss. „Der Rabe kommt weg, auch wenn Dir das weh tut. Weil es für
mich wichtig ist, weil es für mich ist. Unverzichtbar.“ Diese Achtsamkeit nach
innen ist so wichtig. Und sie ist so schwer. Weil alle Welt dagegenhält, alle
anderen, die von meiner Mir-Achtsamkeit genervt, verletzt, verärgert sind. Die
mich dann, wenn ich achtsam mir gegenüber bin, nicht mir gegenüber achtsam sein
können. Aus ihren Gründen, klar. Aber sie halten dagegen, und dann muss ich für
mich kämpfen, und das macht meine Achtsamkeit die ich für mich habe, so hart,
ungenießbar für die anderen. So, dass die anderen dann mit dem „Was machst Du
denn da schon wieder“ über mich herfallen, und sie meine innere Achtsamkeit
schlechtreden. „Lieblos“ nennen sie das. Nun gut, sie können dann gerade nicht anders.
Ich muss das nicht meinerseits schlechtreden. Aber ich muss mir davon nichts
anstecken. „Ich bin nicht lieblos. Ich bin bei mir. Ich wahre meine Grenze.
Wenn dies Dir weht tut, merke ich das und es bedrückt mich. Aber es lässt mich
nicht vom Weg abweichen. Jetzt nicht. Vielleicht nachher. Ich bin nicht
lieblos, sondern achtsam. Mir gegenüber.“
Achtsam
und lieblos? Es gibt nur achtsam und achtsam. Achtsamkeit nach außen und
Achtsamkeit nach innen. Ich will nichts mehr schlechtreden. Ich richte mir mein
Leben ein, und dazu gehört nicht mehr, dass ich etwas, was Du tust,
schlechtrede. Schlechtzureden habe. „Aber das ist doch lieblos, wie Claus mit
Karin umgeht“. Nein, sage ich. So etwas gibt es nicht. Nicht mehr in meiner
Welt, in einer Welt, in der JEDER Ebenbild Gottes ist. In der Welt, die ich für
mich gelten lasse. Ich sehe, wie Deine Achtsamkeit zu Dir selbst ein Teil der
großen Konstruktivität ist, auf die ich setze. Amication ist voll davon. Die
frohe Botschaft bringt Licht in die Finsternis. So ist es, sage ich, auch in
die Finsternis unserer Beziehungen. Es ist nicht verboten, dort Licht zu sehen,
wo bislang nur Dunkelheit erkannt wurde. Die Dunkelheit Lieblosigkeit als das
Licht Achtsamkeit Zu erkennen. Amication ist eine Einladung, auf Lichtpfaden zu
wandeln, auch in der Dunkelheit. So dass die Tage wieder länger werden.