Der Kletterbaum
ist eine alte Eiche mit wunderschönen Kletterästen. Für große und für kleine
Kinder. Arwen ist 4, wir kommen zum Kletterbaum. Der Stamm ist für das Kind zu
mächtig, die Äste sind unerreichbar. „Ich komm nicht dran.“ Ich bekomme das
mit, bin aber im Gespräch mit ihrer Mutter Emily. Auch sie bekommt das mit, ist
aber im Gespräch mit mir. Arwens Tonlage ist deutlich. Sie will nicht den Baum,
denke ich, sie will Kletter-Event. Meine Wahrnehmung. In Resonanz mit ihren
Tönen aus dem Anspruchsland.
Wir Erwachsene
sehen uns kurz an und setzen unser Gespräch fort. Arwen hängt irgendwie am
Stamm fest, kein Ast erreichbar, zufrieden sieht sie nicht aus. Sollen wir uns
nicht doch kümmern? Oder sollen wir sie ihre Erfahrungen selbst machen lassen?
Also uns raushalten, damit sie ihre eigenen Möglichkeiten, Wege, Umwege,
Unwege, Dochwege kennenlernt? Damit sie lernt, überhaupt? Mir sind derartige
Überlegungen zum Besten der Kinder bekannt, nur zu gut bekannt. Die Situation
ist für so eine pädagogische entwicklungsfördernde Aktion geradezu klassisch.
Raushalten zum Besten des Kindes. Aber ich bin da ganz woanders.
Ich nehme sie und
mich jenseits ihrer Töne und jenseits dieser Förderüberlegungen wahr. Ich bin
hier draußen am Baum, Emily ist hier draußen am Baum, Arwen ist hier draußen am
Baum. Jeder tut seine Dinge. Die Großen spielen das Leben: diesmal reden,
das Kind spielt das Leben: diesmal kletterbaumen. Lassen wir Arwen im Stich?
Geben wir Arwen die Chance? Sind wir gemein? Sind wir hilfreich?
„Was will ich
wirklich?“ führt in amicatives Land. Und ich merke, daß es mir jetzt gerade
nicht recht ist, aus dem Gespräch mit ihrer Mutter auszusteigen. Einmal zum Ast
heben reicht ja nicht, das wird noch ein Ast, viele Äste und das Gespräch ist
vorbei. Will ich nicht. Ich will noch nicht einmal etwas sagen, ich will
eigentlich nicht einmal dahindenken. Jetzt gerade nicht. Nachher kann das
anders sein, aber jetzt nicht. Ich schaffe es, bei mir zu bleiben und nach dem
Aufnehmen von Arwens Botschaft und dem kurzen Blicktausch mit Emily
weiter in meine Gedankenwelt und unsere Unterhaltungswelt zu wandern. Ich bin
stark und standhaft, dieser mächtigen Kindesforderung ein freundliches
wortloses unpädagogisches authentisches Nein zu schenken.
Da Arwens Mutter
auch in der amicativen Welt lebt und gerade wie ich unterwegs ist, schwingt
unser beider Nein zu dem Kind. Ohne jedes Wort. Sicher weiß Arwen, daß wir sie
gehört haben. Sie wird sich ihre eigenen Gedanken dazu machen. Macht sie auch:
sie fängt an, sich mit dem Unmöglichen zu beschäftigen. Die Rinde läßt sich
klammern, der erste Ast kommt ins Greifbare. Schon ist sie hoch, Ast sieben.
Das sitzt sie und schaut umher. Sie lacht, und der Baum sieht glücklich aus.
Als Arwen beim
Runterklettern festhängt, kommt ein Angstton. Beiläufig hebt Evelyn sie nach
unten. Arwen geht zur Bank, auf der wir sitzen, und kuschelt sich an ihre
Mutter. Sie schaut zum Zitronenfalter und fliegt mit ihm in seine, ihre, unsere
Welt.