Lisa

Ich will mit den Kindern eine Radtour machen, mit Xenia, Felix und Lisa. Xenia und Felix wollen mit, aber Lisa will lieber zu Hause bleiben. Aber nicht allein. »Was willst Du? Mitkommen oder dableiben?« Mir ist nicht wohl dabei. Wer ohne Lust eine Radtour macht, hält es nicht lange aus und die anderen sind dann genervt. Ist jedenfalls meine Befürchtung. Lisa kommt mit. Aber sie hängt nach und freut sich weder an den Kühen noch an den Fohlen. Sie zockelt hinterher. Die Fröhlichkeit von uns drei anderen nimmt ab. Ihretwegen. Es ist nicht so, dass wir sie verurteilen. Nur: Wie sollen wir fröhlich sein, wenn einer betrübt ist? Beim nächsten Berg ist es dann soweit: Lisa kommt nicht. Wir halten an, dann kommt sie.

Jetzt führt kein Weg mehr daran vorbei, ich will klar Schiff haben. Wir reden. Noch mal: Dass sie eben keine Lust auf die Radtour hat. Aber wir. Dass sie lieber zu Hause spielen will, aber nicht allein. Aber wir wollen ihretwegen nicht auf die Tour verzichten. Auf mein »Was willst Du denn jetzt? Nach Hause, und zwar allein, oder mitfahren?« kommt nichts genaues. Klar ist: Sie will nach Hause, und zwar mit uns. Aber wir wollen fahren, mit ihr oder ohne sie.

Was tun? Weiterfahren mit Lisa? Noch zwei Stunden das aushalten? Abbrechen und nach Hause fahren? Xenia und Felix sind gelassen: »Dann fahren wir eben zurück.« Sehr zufrieden sehen sie dabei aber nicht aus. Also: Was will ich – was will ich wirklich? Mit den Kindern schöne Zeit verbringen. Geht das so? Nein. Denn eins der Kinder will es so nicht. Meine Radtour ist also gemessen an dem, was ich will (mit den Kindern schöne Zeit verbringen) unrealistisch. Bam. Da liegt er, der Baumstamm über dem Weg. Ich komme nicht rüber, weiß keinen Weg.

Also? Also keine Radtour. Schwer, aber es kommt, ich halte mich an und erkenne die Realität: So geht es nicht. Ärgerlich, aber wahr. Und deswegen schon etwas weniger ärgerlich.

»Ja, wenn Du absolut nicht willst ...« Ich sage das wirklich ohne Druck, doch wollen zu sollen. Aber ich sage auch und beschönige da nichts, dass ich lieber weiterfahren würde. Nur, dass es uns ja auch keinen Spaß macht, wenn einer dabei ist, der keine Lust hat. Aber dass ich auch nicht richtig sauer bin. Nur nicht gerade erfreut. In mir schwingt keine Schuldzuweisung, aber auch kein Verniedlichen. Es tut weh, aber das laste ich ihr nicht wirklich an. Diese Psychologie ist fein, sie liegt haarscharf neben dem »Du bist schuld«. Wir sagen uns von Souverän zu Souverän, was zu sagen ist. Ohne Oben-Unten. Ohne Anspruchsdenken. Von Person zu Person. Amicativ. Lisa und Hubertus, Hubertus und Lisa.

Wir stehen da und haben unser Dilemma. Energie, Kräfte, Gefühle, Sonne, Wind, Stress, Leid tun, Blumen, Warten. Ich spüre, dass ich mein Rad umdrehen werde. Xenia und Felix drehen es bereits um. Stillstand, Ohnmacht, keine Idee mehr, und: die neue Richtung beginnt, der Stillstand ist überwunden: »Ja, dann ...« Wie können wir uns freuen, wenn einer unglücklich ist? »Also los, nach Hause.« So ist das Leben! Angenommen. O.k.

»Ich glaub, ich schaff es doch.« »Was?« »Ich komm mit.« Na dann! So ist das Leben! Luftholen, durchatmen, kein Kommentar. Auf geht's. Lisa summt vor sich hin und fährt den Berg rauf, ich schiebe. Die restlichen zwei Stunden ist sie gut drauf, und wir anderen auch.