Weil das Uns-Mögen den Ton angibt

Im Familienseminar sind fünf Kinder zwischen 7 und 11. Das Seminarhaus ist im Wald, 400 Meter hinter der Bahnschranke. Genau dort aber wollen sie hin. Und den Automaten betätigen, damit sich die Schranke öffnet und sie im Ort dahinter herumstromern können. „Nein“, sage ich, „wir sind hier im Alten Forsthaus im Wald. Da gibt’s genug zu entdecken.“ „Wir können die Schranke bedienen, das ist ganz einfach. Und den Weg aus der Stadt finden wir auch zurück.“ Als ginge es darum!

Sollte nicht der Wald Attraktion genug sein? Und was soll das dauernde Nintendogespiele, wo draußen die Natur wartet? Ich bin genervt. Wegen der Offensichtlichkeit bei Schranke und Stadt, wegen der Offensichtlichkeit bei Nintendo. Die Schranke hat keine Chance, mein Nein ist klar. Klar ist aber auch, dass sie vorhin schon durch und im Ort waren. „Schlimm genug“, ärgere ich mich. Das ganze Szenario von Zermalmt bis Verlaufen und Entführt – beeindruckt nicht. „Wir kommen zurecht.“ Und: „Nintendo macht doch Spaß.“ Und ob ich auch mal will.

Außerdem gibt’s hier einen kleinen Teich. Die Molche und Kaulquappen werden herumgeschleppt, gefüttert, gestreichelt. „Sofort in den Teich mit den Tieren.“ Widerwillig tun sie es. Und dann noch: „Wir wollen ein Kinder-Nachtlager machen.“ Kein richtiger Schlaf, morgen quengelige Kinder, Krach, und überhaupt. Leute – was soll das werden?

Dann gehe ich mit zwei der Kinder los. Sie sollen mir genau den Weg in die Stadt zeigen, den sie vorhin gegangen sind. Weil die anderen immer noch nicht da sind und ich sie auftreiben will. (Die waren dann im Wald bei der Schaukel.) Und natürlich können sie den Schrankenautomaten bedienen und natürlich finden sie sich in dem völlig fremden Ort zurecht. Auf dem einstündigen Weg durch Schranke und Stadt komme ich dann mehr und mehr zur Ruhe und kann sie mehr und mehr so sehen, wie sie sind: souverän, lebensfroh, herrlich. Meine Gelassenheit kehrt zurück, ich kann mich einschwingen und ihre erwachsenenbedenken-freie Kraft spüren. So allein das alles managen: das ist es!

Na ja, meine Bedenken bleiben richtig. Ja – aus meiner Erwachsenensicht. Jeder hat seine, ist schon klar, Theorie-Grundkurs. Und die Kinder, auch diese Kinder, haben eben ihre Sicht: souverän, selbstverantwortlich, sich selbst gehörend. Es tut mir gut, die Achtung vor ihrer Sichtweise wieder in mir zu spüren und wieder wertschätzen zu können. Wir kommen über all das sehr vertraut ins Gespräch, haben eine gute Stunde und nach dem Gang ist aller Ärger verflogen. Was ja nicht heißt, dass ich nicht auch auf mich achte. „Nein, das Spielgelände endet vor der Schranke. Und die Tiere bleiben im Teich.“ Der Nintendo soll mir gestohlen bleiben, das Nachtlager kann stattfinden. 

Und weil ich sie nicht ausgemeckert, herabgesetzt und für blöd erklärt habe, weil ich sie hinter meinem Ärger wieder gefunden habe, weil das Uns-Mögen den Ton angibt, klappt alles bestens bis zum Schluss. Keine Schranke, fast keine Molche und Quappen, Fröhlichkeit trotz und wegen des Nachtlagers, viel Wald und viel Nintendo – eine wirklich schöne Zeit.