Urgroßmutter ist hundert Jahre alt
geworden, und es ist an der Zeit, die Erde zu verlassen. Sie hat ein erfülltes
Leben hinter sich und nimmt nun Abschied von ihren Kindern, Enkeln und
Urenkeln. Urgroßmutter liegt auf dem Sterbebett, die Kerzen brennen. Alle sind
sehr darauf bedacht, dass sie in Frieden einschlafen kann. Jetzt nehmen die
Kinder, Enkel und Urenkel Abschied, einer nach dem anderen umarmt sie, sagt
Danke und Auf Wiedersehen. Zum Schluss kommt das jüngste Urenkelkind an die
Reihe.
»Hallo Urgroßmutter, ich möchte Dir auch
Auf Wiedersehen sagen.« »Lieb von Dir«, antwortet die Urgroßmutter leise, »aber
wer bist Du denn?« »Weißt Du nicht, wer ich bin?« »Nein.« »Kennst Du mich denn
gar nicht? Sieh mich nur genau an«, sagt das Kind. »Du stehst neben mir, nicht
wahr?« »Ja« »Du kommst mir sehr bekannt vor. Sag mir, wer Du bist. Ich habe so
viele Tränen in den Augen, ich kann Dich nicht richtig sehen.« »Dann sag ich
Dir, wer ich bin. Aber, Urgroßmutter, eigentlich könntest Du wissen, wer ich
bin.« »Könnte ich das?« Sie horcht in sich, aber sie erkennt das Kind nicht.
»Weißt Du, Urgroßmutter, ich bin Du. Du hast Dich in Deinem Leben um alle sehr
gekümmert. Nur nicht genug um mich.« Und Petrus sagt: »Das stimmt. Du warst
eine sehr liebevolle Mutter und Großmutter. Aber es ist Dir etwas aus dem Blick
geraten, dieses Kind, das Du selbst warst. Das kannst Du beim nächsten Mal
ruhig anders machen, wenn Du willst.«
Urgroßmutter weint. Sie weiß, dass sie
nichts falsch gemacht hat. Aber sie sieht die Wiesen des Morgens noch einmal,
die Sommerlust ihres Mittags und die freundliche Kühle des Herbstes, die
frohlockende Kälte des Winters. Sie sieht zurück auf ihr Leben, und sie fühlt
all das Glück noch einmal. Und dennoch weint sie leise in sich hinein. »Ich
werde es beim nächsten Mal wirklich anders machen, ich vergesse mich nicht
wieder so sehr«, flüstert sie. »Jeder Tag ist mein Tag, ich hätte eher drauf
kommen können.« »Ist schon gut«, sagt das Kind, nimmt ihre Hand und streichelt
sie.