Deutsches Kindermanifest - Der Beginn

Es gibt Rechte junger Menschen, vor denen ein staatliches Nein steht, und es gibt Rechte junger Menschen, vor deren Ausübung das Nein der Eltern steht. Die staatlich behinderten Rechte zu befreien ist eine politische Sache. Das Engagement für die Gleichberechtigung des Kindes erlangt den nötigen Einfluss, um die Gesetze zu ändern. Dies betrifft prinzipiell alle im Deutschen Kindermanifest aufgeführten Rechte, vor allem aber die Rechte auf Gleichheit, auf freie Entfaltung, auf rechtliche Verantwortung, auf rechtliches Gehör, auf Teilnahme am Rechtsleben, auf Teilnahme am öffentlichen Leben, auf Teilnahme an Wahlen, auf freie Meinungsäußerung, auf Arbeit gegen Entgelt, auf Mindesteinkommen, auf selbst bestimmtes Lernen und auf Dateninformation.

Es ist aber auch heute schon möglich, dass Kinder viele Rechte ausüben – wenn ihre Rechte in den Zuständigkeitsbereich der Eltern fallen und wenn die Eltern der Verwirklichung dieser Rechte nichts in den Weg stellen. Alle Eltern haben nämlich ein grundgesetzlich verbrieftes Erziehungsrecht (das zugleich als Pflicht verstanden wird): »Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht« (Artikel 6.2 des Grundgesetzes). Das Grundgesetz hat den Eltern durch das Erziehungsrecht eine starke Position gegeben – und sie können dieses Erziehungsrecht durchaus im Sinne des Deutschen Kindermanifests ausüben und damit zugleich ihre Pflege- und Erziehungspflicht erfüllen. Sie treten dann für Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Emanzipation ihrer Kinder ein. Der Artikel 11 des Deutschen Kindermanifestes enthält diese Perspektive: »Kinder haben das Recht, von Erwachsenen in der Lebensführung unterstützt zu werden. Dieses Recht ist die wohlverstandene Pflege- und Erziehungspflicht des Grundgesetzes.«

Unter der Protektion von Eltern können für Kinder folgende Rechte Realität werden: Das Recht auf freie Entfaltung, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Wahl der Lebenspartner, das Recht auf kinderfreundliche Geburt, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf freie Nahrungsaufnahme, das Recht auf eigenen Namen, das Recht auf Privatleben, das Recht auf Sexualität, das Recht auf religiöse Freiheit, das Recht auf Freizügigkeit. Beim Recht auf Selbstbestimmtes Lernen und beim Recht auf Dateninformation können Eltern den Kindern die Ausübung ihrer Rechte zwar nicht ermöglichen, sie aber doch durch grundlegende Loyalität und immer wieder auch durch konkrete Hilfe und Information unterstützen.

In der Praxis entscheidet zunächst ein jeder bei sich: »Ich will meinem Kind die Ausübung seiner Rechte nicht länger verweigern.« Diese Eltern kommen zu ihrer neuen Einstellung nicht nur aus grundsätzlichen Überlegungen, sondern vor allem durch ein verändertes Selbstverständnis. Sie sind in dieser Frage mit sich im reinen, haben herausgefunden, wie sie mit ihren Kindern leben wollen, und sie machen ihre täglichen Erfahrungen damit.

Einige Rechte können Eltern problemlos Wirklichkeit werden lassen, bei anderen wird es schwer werden. Erwachsene werden Schritt für Schritt lernen, Herrschaft über Kinder aufzugeben. Schritt für Schritt – denn niemandem ist geholfen, wenn Eltern sich überfordern und den Kindern gestatten, was sie eigentlich nicht gestatten wollen. Es kann schnell der Punkt kommen, wo vor lauter Unbehagen alles umkippt und viel restriktiver wird als vorher.

Reste von Unterdrückung aufgrund eigener Unzulänglichkeit und Angst werden sich zu Beginn nicht vermeiden lassen. Der neue Weg ist sicher auch eine langsame Befreiung. Beispielsweise werden Eltern aus Sorge um das Wohl ihrer Kinder letztlich immer wieder eingreifen und dies oder das wegnehmen. Aus der Sicht des Kindes und seiner Rechte ist so etwas nicht wirklich zu rechtfertigen. Es ist dann sinnvoll, ehrlich einzugestehen, dass man jetzt Recht beugt, keinen Ausweg aus diesem Dilemma sieht und das eigene Verhalten hinterfragbar macht.

Wenn es um Emanzipation und nicht um Gegenunterdrückung geht, sind die Grenzen, Sorgen und Ängste der Eltern zu berücksichtigen. Das bedeutet nicht, dass den Eltern die Rechte ihrer Kinder gleichgültig sind. Es zeigt nur, dass die Eltern vor lauter Kümmern um die Rechte ihrer Kinder das Sorgen um die eigene Würde nicht verlernt haben. Und genau dies – das Erkennen und Bewahren der Würde, der eigenen wie die der Kinder – ist die Voraussetzung dafür, dass alle Menschen- und Bürgerechte des Kindes eines Tages Wirklichkeit werden können.