Wenn die innere Revolution – in den Herzen der Erwachsenen – erfolgt
ist, wird sich die äußere Revolution – die Beseitigung der rechtlichen
Diskriminierung durch die Änderung von Gesetzen – nach und nach von
selbst ergeben. Für die innere Umwälzung wird ein jeder zunächst bei
sich selbst schauen müssen, bevor er engagiert auf andere zugeht. Der
äußere Aspekt, die Veränderung des Unrechts hin zu Recht, steht in der
Tradition der Bürgerrechtsbewegung. Hier kann man sich in vielfältiger
Weise engagieren und die Zeitgenossen auf die Diskriminierung der Kinder
aufmerksam machen. Man hilft, ein demokratisches Bewusstsein zu
schaffen, das Kinder nicht ausgrenzt, sondern einbezieht.
Richard
Farson: »Die Vorstellung, dass Kinder zur Wahl gehen, ist für uns so
abwegig, dass niemand auf den Gedanken kommt, in dieser Ablehnung einen
Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben zu sehen. Wir behaupten von uns,
Selbstbestimmung zu üben und halten gleichzeitig die Hälfte der
Gesamtbevölkerung vom Wählen zurück.
Weil Kinder nicht
wählen dürfen, haben sie auch keine Vertretung in der Regierung bzw.
keinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen. Sie werden von gewählten
Volksvertretern fast völlig ignoriert. Außerparlamentarische
Interessenvertreter kindlicher Rechte oder politische Rücksichtnahme auf
kindliche Bedürfnisse sind äußerst selten.
Kinder sind
kein Wählerpotential. Um das zu werden, müssten sie das Wahlrecht
haben, und zwar nicht erst ab achtzehn Jahren, sondern in jedem Alter.
Diese
Vorstellung irritiert uns, weil wir in unserer patriarchalischen
Gesellschaftsordnung der Vorstellung huldigen, dass das Lebensalter
eines Menschen ein hinreichender Grund sei, ihm seine Bürgerrechte
abzusprechen, eine Einstellung, die mit dem fundamentalen Konzept von
Demokratie und Selbstbestimmung nichts mehr gemein hat. Sie steht in
keinem Verhältnis zu dem schon erreichten beachtlichen Erfolg, eine
Regierung zu haben, die, vom Volk gewählt, durch das Volk gebildet, für
das Volk handelt.
Wir sind stolz darauf, dass
vorangegangene Generationen einsichtig genug waren, das Wahlrecht nicht
von Besitz, Bildung, Wissen, Rasse, Geschlecht oder Vermögen abhängig zu
machen. Wir berauben einen Menschen, der das Greisenalter erreicht hat,
nicht dieses Rechts, ebenso wenig wie wir irgendeinen der Millionen –
nicht in Krankenhäusern erfassten und behandelten – Alkoholiker,
Neurotiker, Psychopathen und Fanatiker der verschiedensten Richtungen
davon ausschließen. Aber das Kind schließen wir aus.
Es
gibt in einer freien, demokratischen Gesellschaft kein begründetes
Argument dafür, Kinder zu der Teilnahme an wichtigen Entscheidungen
nicht zuzulassen.
Kinder bedürfen des Wahlrechts, weil
Erwachsene kaum Anteil an ihren Interessen nehmen und nichts zu ihrem
Vorteil entscheiden. Erwachsene teilen weder kindliche Vorstellung und
Wertungen, noch entscheiden sie die Weltprobleme in deren Sinne. Es ist
offensichtlich genug, dass sie den physischen, sozialen und emotionalen
kindlichen Erfordernissen nicht Rechnung tragen.
Kindern
legitime Rechte zuzugestehen bedeutet, ihre Fähigkeit zur Einflussnahme
zu verbessern und auszuweiten, nicht als Kinder, sondern als Bürger.
Dies ist ein Recht, das ihnen von Geburt an zugestanden sein sollte.«
(Menschenrechte für Kinder, S. 125 ff.)
John Holt:
»Wenn ich fordere, allen jungen Menschen das Wahlrecht zu geben, dann
werde ich von älteren Menschen verwundert, ungläubig und oft sogar
verärgert gefragt, ob ich etwa wirklich alle Kinder und Jugendliche
jeden Alters meine. Genau das meine ich. Ich rede hier nicht nur über
das Wahlrecht für Sechzehnjährige, sondern auch über das Wahlrecht für
Sechsjährige. Ein Sechsjähriger, der wählen will, der sollte meines
Erachtens auch wählen dürfen.
So wie es aussieht,
scheint es – zumindest nach allem, was ich über sechsjährige Kinder weiß
– unwahrscheinlich zu sein, dass viele von ihnen von ihrem Wahlrecht
Gebrauch machen würden – auch nicht in einer Gesellschaft, in der sie
sehr viel ernsthafter und rücksichtsvoller betrachtet und behandelt
würden als heute, und in der sie selber ganz anders sein würden als
heute. So eifrig und ungebunden die jungen Menschen die Welt auch immer
entdecken mögen, und wie viel an Freiheit, Ermutigung und Unterstützung
wir ihnen dabei auch immer zukommen lassen mögen: sie können die Welt
nur immer Schritt für Schritt entdecken. Ich bezweifle, dass die
Mehrheit der Sechsjährigen auf ihrer Entdeckungsreise weit genug
fortgeschritten wäre, um Wahlgänge für bedeutsam oder interessant zu
halten. Manche von ihnen würden vielleicht wählen, weil es aufregend
oder neu für sie wäre oder weil sie dann etwas hätten, was sie ihren
Freunden erzählen könnten. Manche Kinder, die in Familien groß werden,
in denen über nichts anderes gesprochen wird als über Wahlkandidaten,
Politik und Wahlen, wären vielleicht daran interessiert, das gleiche zu
tun, was die meisten älteren Leute in ihrer Umgebung tun. Die meisten
Kinder aber, so möchte ich meinen, hätten wahrscheinlich kein Interesse
an Wahlen.
Bei Zehnjährigen mag die Sache hingegen ganz anders
liegen. Ich vermute, dass eine große Zahl von ihnen wählen würde, wenn
sie könnte – und zwar nicht nur, um an der Aufregung und Aktivität ihrer
Eltern teilhaben zu können, sondern auch aus eigenen Beweggründen. Ich
habe eine ganze Reihe von Zehnjährigen kennen gelernt, die mindestens
ebenso viel von der Welt und deren Problemen verstanden wie ich oder wie
die meisten meiner Freunde zu der Zeit, als wir aus dem College kamen.
Ich halte es sogar für möglich, dass Zehnjährige, die ja noch relativ
stark nach außen gerichtet leben, sich in größerer Zahl an der Wahl
beteiligen würden als Vierzehnjährige, die aus vielerlei Gründen mehr
mit ihren persönlichen, emotionellen und sozialen Leben befasst sind.
Andererseits ist ein Grund, weshalb so viele Teenager so sehr mit sich
selbst beschäftigt sind, der, dass wir ihnen nicht erlauben, sich mit
anderen Dingen zu befassen.« (Zum Teufel mit der Kindheit, S. 121 ff.)